Der Negativtätseffekt
Unsere eigenen Wahrnehmungen und das daraus entstehende Handeln beeinflussen unser Verhalten und damit auch jenes unseres (Arbeits)umfeldes. Die systemische Beratung befasst sich deshalb auch gezielt mit Phänomenen, welche sich auf unsere (oft auch unbewusst getroffenen) Entscheidungen auswirken. Eine dieser Besonderheiten, welche uns in unserem täglichen Leben laufend begegnen, möchte ich den heutigen Artikel widmen.
Unser menschliches Wesen ist davon geprägt, dass wir uns von Natur aus von negativen Ereignissen (und somit auch den damit verbundenen Emotionen) wesentlich stärker beeinflussen lassen als von positiven. Es mag wohl aus einer Art evolutionären Selbstschutz heraus entstanden sein, den wir uns seit Jahrtausenden angeeignet haben, negative Erfahrungen als Warnhinweise unseren Köpfen zu verankern.
Solch ein Verhalten ist praktisch überall in unserem täglichen Leben zu bemerken. Egal ob wir Nachrichten im Fernsehen sehen, in Zeitungen lesen oder Selbsterlebtes erzählen – negative Ereignisse werden in der Regel um ein Vielfaches öfter verbreitet als positive. Schlechtes stellt sich in unseren Gedanken oft verzerrt dar und wirkt sich dadurch auch stärker aus als Gutes. Selbst dann, wenn beides gleich stark auf uns einwirkt. Dinge negativer Natur haben dadurch einen wesentlich größeren Anteil an unserer Entscheidungsfindung. Dieses Verhalten wird als der Negativeffekt (engl. negativity bias) beschrieben.
Wie zeigt sich ein solcher in unserem beruflichen Alltag? Im Allgemeinen reagieren wir beispielsweise bei Kritik wesentlich emotionaler (negativer) als bei Lob. Mehr noch, Lob kann uns sogar irritieren. Auch an den Reaktionen unseres Umfeldes passen wir unser Verhalten an. Wer sieht in der Menge noch die freundlichen Gesichter, wenn eines davon extrem negativ auf uns wirkt? Wer von uns hat sich noch nie alle möglichen (negativen) Situationen ausgemalt, welche letztendlich dann doch nicht passiert sind? Vieles davon ist reines Kopfkino! Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass über 90 % solcher Gedanken nie eingetreten sind. Und doch machen wir uns vorab darüber Sorgen. Angst ist und war immer schon ein schlechter Entscheidungsträger. Manchmal schreiben wir Erfolge anderen zu, auch solche, die eigentlich unsere eigenen sind! Wir fühlen uns ohne handfesten Grund unterlegen oder erwarten selbst bei einem angemessenen Verhalten negative Reaktionen. Wir überschätzen unser Gegenüber und unterschätzen uns dabei selbst. Wir glauben unsere Angst wäre für alle sichtbar und bewerten uns dann noch aus solch einem verzerrten Urteilsvermögen selbst. Wir richten unseren Alltag danach aus, keinerlei Risken einzugehen oder irgendwo anzuecken. Mit solchen Gedanken dann vielleicht auch noch schwierige Entscheidungen treffen zu müssen, kann dabei schon fast als leichtsinnig bezeichnet werden.
Die systemische Beratung kann jedoch dem Negativeffekt durchaus auch Positives abgewinnen. Sobald wir uns bewusst sind, dass wir in solchen „Verhältnissen“ denken und handeln, können wir uns auch von diesen trennen. Wir müssen lernen unsere Wahrnehmungen objektiv zu sehen, das Negative zu „durchschauen“ und in unserem Tun dementsprechend dagegenhalten. Zugegeben, dies passiert nicht einfach mal so und kommt auch nicht von jetzt auf gleich. Wir müssen uns damit gezielt auseinandersetzen. Sind wir einmal in der Lage unsere Emotionen rational zu unseren Problemen zu setzen und uns nicht von unserem momentanen Zustand leiten zu lassen, dann können wir bestehende (Verhaltens)muster aufbrechen und uns der Lösungsfindung zuwenden. Es ist ein hartes Stück Arbeit einen solchen Schritt zu gehen. Dazu gehört Offenheit, Ehrlichkeit und das eigene „Verändernwollen“. Meine Klient/innen werden von mir dabei begleitet Rückschläge zu analysieren, neue Wege zu finden aber auch aus Fehlern zu lernen. Letzteres mag wohl wie eine Floskel klingen, ist jedoch, professionell begleitet, ein Öffnen zu neuen (gedanklichen) Freiheiten und das Erkennen alternativer (Handlungs)möglichkeiten.